Nach einem Gespräch mit ihm will man sofort in den Zug nach Wien steigen und in all seinen Restaurants einkehren: Der vegetarische Sternekoch Paul Ivić erzählt, warum er zuerst ein Wrack sein musste, ehe er verstand, was beim Kochen wirklich zählt.
Nach einem Gespräch mit ihm will man sofort in den Zug nach Wien steigen und in all seinen Restaurants einkehren: Der vegetarische Sternekoch Paul Ivić erzählt, warum er zuerst ein Wrack sein musste, ehe er verstand, was beim Kochen wirklich zählt.
Paul Ivić, Sie sind ein Pionier der vegetarischen Sterneküche, haben mit Ihrem 2011 gegründeten TIAN in Wien als einer der weltweit ersten vegetarischen Köche überhaupt einen Michelin-Stern erhalten. Wovon haben Sie sich inspirieren lassen, wenn damals vegetarische Spitzengastronomie doch noch so neu – und vor allem: selten – war?
Paul Ivić: Ich habe das interessanterweise selbst erst vor etwa zehn Jahren verstanden, nach der Eröffnung des TIAN. Es waren nicht berühmte Köchinnen oder Köche, die mich am meisten inspiriert haben. Es war meine Kindheit. Ich bin in die Kochwelt ja eher hineingeschlittert, wollte nicht Koch, sondern Comiczeichner werden. Kochen aber hatte schon immer eine grosse Bedeutung für mich, nur vielleicht nicht so, wie man es erwarten würde: Mit Essen verband ich Emotionen, es konnte mich stressen, aber auch beflügeln. Wir waren nie reich an Geld, aber wir waren reich an Diversität. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, mein Papa ist Kroate, meine Mama Österreicherin. Alles, was ich übers Essen weiss, weiss ich von ihnen und meinen Grosseltern. Da waren Höfe, eigene Tiere, ein eigener Weinberg, eigenes Gemüse. Wir arbeiteten ohne Pestizide, ohne Gift, aber wir nannten es nicht Bio, wir kannten es gar nicht anders. Wenn mein Opa alle eineinhalb Jahre eine Kuh schlachtete, war das ein Fest, und alle waren dankbar, weil man wusste, dass wir jetzt wieder für lange Zeit genug Fleisch zu essen haben. Wir haben alles verwertet, nicht so wie heute, wo man in den Supermarkt geht und sich irgendein Steak greift. Ich habe Demut und Dankbarkeit gelernt, aber nicht als Gegensatz zu etwas, es war das einzig Richtige. Es ist ein grosses Glück, das sich so aufgewachsen bin, mit Produkten ganz ohne Chemie. Doch das war mir lange nicht bewusst.
Warum wurde es Ihnen dann doch noch klar?
Weil ich psychisch und physisch sehr krank geworden bin. Ich hatte einen Job, bei dem mir alles egal war: Mensch, Tier, Umwelt. Ich war sehr gut darin, Profit zu maximieren, war ein wirklich guter Einkäufer. Ich habe Tonnen an billigstem Fleisch und kranken Tieren eingekauft, Garnelen und Zuchtlachs, die bis oben voll mit Hormonen und Antibiotika waren. Die schwammen nicht im Wasser, die schwammen in Chemikalien. Ganz zu schweigen von den ganzen Tonnen an Gemüse und Obst – alles mit Pestiziden vergiftet. Und ich, ich habe ganz legal meine Gäste vergiftet. Und damit mich selbst. Mir war immer wichtig, dass das, was ich mache, einen Sinn ergibt. Aber hier tat ich das Gegenteil. Das Paradoxe war, dass ich mich parallel intensiv mit Ernährungstheorie befasste – und es doch lange nicht kapierte.
Wie meinen Sie das?
Ich hatte mal Ernährungswissenschaften studieren wollen, es dann aber sein lassen. Nun holte ich das auf, indem ich ganz viele Bücher las. Dass das, was ich in der Küche tat, falsch war, realisierte ich aber erst, als mein Arzt mir sagte, dass ich so nicht weitermachen könne. Ich war – ohne es zu merken – ein Wrack geworden. Mit dreissig Jahren.
Was machte Sie gesund?
Es war tatsächlich eine Art Erweckungserlebnis. Ich hatte Lust auf Rühreier und fuhr zu einem Hofladen, um mir Eier zu kaufen. Die Frau dort erzählte mir lange, wie wichtig ihr sei, dass es ihren Hühnern gut gehe. Ich aber dachte nur: Gib mir endlich die blöden Eier! Das merkte sie und sagte, dass sie mir bestimmt keine Eier verkaufe. Sie wolle Kunden, die es wertschätzenwürden, dass es ihren Hühnern gut geht. Irgendwann gab sie mir die Eier dann doch mit. Zuhause in der Küche hatte ich ein Flashback, zum ersten Mal seit Jahrzehnten. Ich fühlte mich zurückversetzt in die Zeit, als ich fünf Jahre alt war. Der Geschmack dieser Eier, das war wie früher bei meinen Eltern.
Daraufhin eröffneten Sie das TIAN?
Da war viel Glück dabei, die Idee dazu hatte nicht ich. Die Idee zu TIAN hatte der Firmengründer Christian Halper. Ich las ein Interview, in dem er über seine Vision sprach, und dachte: Da könnte ich hinpassen.
In einem «Spiegel»-Gespräch sagten Sie mal: «Als wir anfingen, waren von unseren 40 Plätzen vielleicht 30 mit Frauen besetzt, die dann einen Salat bestellt haben. Davon kann man nicht leben. Wir hatten einen schwierigen Start. Und das auch noch in Wien, der Schnitzelhauptstadt!»
Das war so! Die Leute dachten, wir spinnen. Die waren uns gegenüber nicht einfach gleichgültig, die waren feindselig.
Dabei wollten Sie Fleischesserinnen und Fleischessern gar nie etwas wegnehmen. Sie sind selbst Fleischesser, propagieren eine gute Mischung.
Darum wollte ich im TIAN auch nie mit Fleischersatzprodukten arbeiten. Würden wir uns nur an Veganerinnen und Vegetarier gerichtet, wären wir längst eingegangen, dieser Markt ist einfach zu klein. Heute sind 90 Prozent unserer Gäste keine Vegetarierinnen, sondern Fleischesser, die gerne mal vegetarisch essen gehen. Ich halte nicht viel davon, dass man sagt, es gebe nur einen richtigen Weg. Ich glaube, es gibt viele richtige Wege, die Lösung kann eine Kombination aus vielem sein. Wichtig ist vielmehr, dass sich nicht nur Einzelne engagieren. Wenn wir alle einen Viertel weniger Fleisch essen, ist für die Welt viel mehr erreicht, als wenn einige wenige Veganerinnen und Vegetarier komplett auf Fleisch verzichten.
Was ist das Herzstück Ihrer Küche?
Die Lebensmittel. Und die Menschen, die die Lebensmittel für uns herstellen. Wir haben in unseren Restaurants nicht vier Jahreszeiten, wir haben zwölf Jahreszeiten. Wir arbeiten mit dem, was unsere Produzentinnen und Produzenten uns liefern. Ich liebe nichts mehr, als mich von den Lieerungen überraschen zu lassen und daraus dann etwas zu zaubern. Ethisch zu kochen, bedeutet für mich nicht nur, den Fleischkonsum zu überdenken. Es betrifft mein ganzes Handeln. Wir haben mit unserem Einkaufsverhalten einen starken Einfluss auf unsere Ökonomie, unsere Ökologie, unser Sozialverhalten und unsere Gesundheit. Das kann man nicht separieren. Wenn Du nur auf Fleisch verzichtest, machst Du zu wenig, es geht auch um Biodiversität und Bodenkultur. Wir kaufen eben nicht billig ein, wir kaufen gut ein. Qualität hat einen Wert, und unsere Aufgabe als Restaurant besteht darin, diese Lebensmittel so zu verarbeiten, dass es für uns wirtschaftlich aufgeht. Ich empfinde das als Befreiung, dass ich meine Zeit nicht mit Preisverhandlungen verschwenden muss. Lieber investiere ich meine Zeit in die Suche nach guten Produkten und in die Frage: Was mache ich daraus?
Ist es leicht, gute Produkte zu finden?
Es ist leicht, schlechte Produkte zu finden. Tomaten, die null Geschmack haben. Karotten, die aus einem Boden kommen, der längst keine Nährstoffe mehr hat. Die sehen vielleicht wie Karotten aus, alle denken, die seien gesund. Aber richtige Karotten sind das schon lange nicht mehr.
Sie engagieren sich gegen genmanipulierte Lebensmittel und für die biodynamische Landwirtschaft, geben Interviews wie dieses, obwohl Ihnen im TIAN die Arbeit bestimmt nicht ausgeht. Warum tun Sie das?
Weil es mir ein Anliegen ist. Es ist die Pflicht und die Verantwortung von uns Menschen, die in der Gastronomie arbeiten, dafür zu sorgen, dass wir den Menschen, die zu uns kommen, keine Lebensmittel servieren, die ihnen schaden. Woher stammt der Begriff Gastronomie? Er stammt vom altgriechischen Wort für Magenkunde. Gastronomie bedeutet, den Magen zu kennen und ihm Gutes zu tun. Aber das verdrängen heute viele. Sie kaufen billig ein, machen ihre Kundschaft krank. Ich glaube, der Geschmack ist der stärkste Verbündete im Kampf für eine bessere Welt.
Wo müsste man ansetzen?
Am besten schon in der Schule. Wir alle nehmen drei-, vier-, sogar fünfmal am Tag Nahrung zu uns. Aber die meisten Menschen haben null Ahnung von guter Ernährung. Und man kann es ihnen nicht verübeln, denn wo hätten sie es lernen sollen? Schauen Sie mal, was in der Schule gelehrt wird: Wir verbringen so viel Zeit mit Deutsch, Mathematik, Englisch, weil das natürlich wichtig ist. Aber was kriegen unsere Schülerinnen und Schüler in der Kantine zu essen? Das ist – Sie merken es vielleicht – ein sehr emotionales Thema für mich. Ich habe in meiner Kindheit sehr gelitten unter dem, was wir in der Schule serviert bekamen. Ich möchte, dass sich das ändert. Ich möchte, dass unsere Kinder in der Schule gratis zu essen bekommen und dass der Staat sagt: Dieses Essen muss zu 80 Prozent aus pflanzlicher Kost bestehen, es muss Bio sein und zu 100 Prozent frisch. Das wäre ein Anfang, so ginge es allen besser: Es müssten weniger Tiere sterben, wir Menschen würden uns gesünder ernähren, und die Umwelt würde auch noch profitieren.