Spitalküche statt Toprestaurant

Wie Michael Kocsis seinen Traumjob fand (der erst noch familienfreundlich ist)

Michael Kocsis liebte seinen Job als Küchenchef in der Berner Dampfzentrale. Doch als er Vater wurde, war sein Arbeitsalltag nicht mehr mit seinem Privatleben vereinbar. Die Lösung fand er in der Care-Gastronomie – und ist heute zufriedener denn je.

Michael Kocsis war 36 Jahre alt, als ihm klar wurde, dass er etwas ändern muss. Ein halbes Jahr noch, dann würde seine Partnerin ein Kind zur Welt bringen. Aber würde er ihm ein guter Vater sein können? Die Antwort war: Nein. Nicht so, wie er es sich wünschte. Nicht mit diesem Job.

Das war im Herbst 2021, Kocsis war zu dem Zeitpunkt seit drei Jahren Co-Chefkoch in der Berner Dampfzentrale, einem Restaurant mit hohem Anspruch und viel Betrieb direkt an der Aare. Er liebte seinen Job, wie er ihn zuvor schon bei der Lehre im Restaurant Ringgenberg und später im Blauen Engel, im Marzilibrücke und im Fischerstübli geliebt hatte. Alles angesehene Restaurants in Bern mit guter Küche. Aber auch: viel Verantwortung und Stress für die Köchinnen und Köche.

 

Von acht Uhr morgens bis elf Uhr nachts

Der Tag von Michael Kocsis in der Dampfzentrale begann um acht Uhr morgens und dauerte bis elf Uhr nachts, mit einer zweistündigen Pause am Nachmittag, die für einen Aareschwumm oder ein Nickerchen reichte. Wenn er im Sommer zwei Tage pro Woche frei hatte, hatte er Glück.

Aber er kochte für sein Leben gern dort und genoss es, die Zufriedenheit in den Augen der Gäste zu sehen, wenn sie sein Essen so sehr mochten, dass sie es sich gegenseitig zum Probieren gaben. Er hatte alle Freiheiten, führte ein grosses Team, richtete schöne Anlässe und riesige Hochzeiten aus. Er konnte sich auf dem Samstagsmarkt in der Stadt, in Büchern oder im Fernsehen von etwas inspirieren und es direkt in seine Menüs einfliessen lassen.

Kurz: Es war ein Traumjob. Bis es kein Traumjob mehr war. Nicht für ihn.

 

 

Ein Unfall als Glücksfall

In der Zusatzausbildung zum Chefkoch hatte Kocsis Kolleginnen und Kollegen kennengelernt, die ihren Beruf ebenso mochten wie er, aber viel ruhigere und geregeltere Tage hatten. Sie arbeiteten in Spitälern, Pflegeheimen, Kantinen. Er schaute sich nach Stellen um, dachte, vielleicht dauert es eine Weile.

Dann geschah ein Unfall, der für ihn zum Glücksfall wurde. Ein Freund stürzte vom Velo und musste ins Spital. Kocsis brachte ihn ins Salem, wo man ihn, weil er innere Verletzungen hatte, ins Beau-Site verlegte. Der Freund musste eine Woche bleiben, langweilte sich irgendwann so sehr, dass er sich ziellos durch die Spitalwebsite klickte – und auf genau die Stellenausschreibung stiess, nach der Kocsis suchte.

Seit Ende 2021 ist Michael Kocsis nun Co-Leiter Küche im Beau-Site, einer Klinik der Hirslanden-Gruppe. Das Spital liegt nicht wie die Dampfzentrale direkt an der Aare, doch die Sicht über den Fluss ist ihm geblieben. Nun arbeitet er von 6 bis 15 Uhr oder von 8.45 bis 17.45 Uhr. Keine Minute mehr.

Er sagt: «Dass ich mal wieder Teil der normalen Gesellschaft sein kann – davon habe ich immer geträumt. Mal zum reinen Vergnügen am Samstag auf den Markt gehen. Mal um vier Uhr nachmittags im Rosengarten einen Kaffee trinken. Um fünf Uhr Billard spielen oder um sechs Uhr ins Kino gehen. Mal durch den Bahnhof laufen, wenn er nicht menschenleer ist. Und: Zeit für mein Kind haben.»

 

2400 Momos an einem Tag

Seit März 2022 ist Michael Kocsis Vater, es ist genauso und noch besser gekommen, als er es sich erhofft hat. Er hat etwas weniger Freiheiten als in der alten Küche, weil man im Spital Rücksicht auf Allergene, Diäten, Nährwerte nehmen muss. Die Menüpläne sind auf Wochen hinaus fix. Und er hat mehr Teammeetings und Sitzungen. Überhaupt: Er kocht weniger, ist weniger für das leibliche Wohl der Gäste zuständig und mehr für das Wohlergehen seiner Küchencrew.

«Früher ging es jeden Tag um Leistung», sagt er. «Du wusstest nie, was dich erwartet, musstest immer Vollgas geben.» Heute hat er Zeit, etwas weiter im Voraus zu planen, zusammen mit seiner Co-Leiterin Brigitte Krähenbühl. Sie haben einen Burger-Tag, einen Pasta-Tag, einen Vegi-Tag. Oder den Momos-Tag, an dem das Küchenteam das Geschirr saubermacht und das Abwaschteam 2400 Momos produziert.

Möglich, dass er früher mal anders über Spitalküchen dachte, aber heute weiss er, dass hier mit ebenso viel oder sogar noch mehr Herz und Können gekocht wird wie anderswo. Als sein Freund im Beau-Site lag und ihm Handyfotos vom Essen schickte, das ihm aufs Zimmer gebracht wurde, fragte Michael Kocsis: «Liegst Du im Kursaal?» Er meinte es halb im Witz, aber auch halb im Ernst, so schön sahen die Teller aus. Und so fein war, wie sein Freund ihm versicherte, das Essen.

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