Was die Gastronomie gegen Food Waste tun kann

Im Kampf gegen Food Waste

Mann mit Kartoffelherz

Food-Waste-Experte Alexander Pabst

Vom gelernten Koch zum Food Save-Experten: Alexander Pabst verbindet sein Know-how aus der Küche und seinen beruflichen Stationen entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette mit praktischen Lösungen gegen Lebensmittelverschwendung. Er berät Gastronomiebetriebe aus verschiedensten Food Service Bereichen zum Thema Food Save.

ENJOY HACO: Allein in der Schweiz werden jedes Jahr 2,8 Millionen Kilo Lebensmittel verschwendet. Die Gastronomie ist für 14 Prozent dieser, eigentlich vermeidbaren, Lebensmittelabfälle verantwortlich. Wo setzt «United Against Waste» an?

«Die Sensibilisierung der Mitarbeiter spielt bei Food Save eine zentrale Rolle.»

AP: Die Gastronomie ist je nach Rechnungsmethode Quelle für ungefähr 8-14 Prozent der gesamten Lebensmittelabfälle. Da die Gastronomie am Ende der Wertschöpfungskette steht und verarbeitete Lebensmittel einen besonders grossen Einfluss auf die Umwelt haben, ist es wichtig, hier die richtigen Massnahmen zu ergreifen. Der Fokus unserer Arbeit liegt darauf, Mitarbeitende und Konsument:innen auf das Thema Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen und ihnen einfache Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Food Waste reduziert werden kann.

Die Lebensmittelverluste pro Mahlzeit sind in der Gastronomie im Vergleich zu anderen Stufen der Lebensmittelwertschöpfung besonders hoch, daher ist es sinnvoll den Hebel dort anzusetzen. Die Sensibilisierung der Mitarbeiter spielt hier eine zentrale Rolle.

Gleichzeitig ist die Vernetzung zwischen den Sektoren von der Produktion bis zur Gastronomie ein wichtiger Punkt. Dadurch können wir Lebensmittelabfälle schon auf früheren Prozessstufen reduzieren, beispielsweise indem wir qualitativ einwandfreies Obst und Gemüse, welches aufgrund äusserer Mängel nicht im Detailhandel angeboten werden kann.

 

EH: Was für eine Vorbildfunktion hat die Gastronomie auf die Konsumenten bei der Vermeidung von Lebensmittelabfällen?

AP: Es geht nicht ohne die Konsumenten. Schliesslich ist der Gast die Existenzgrundlage für jeden gastronomischen Betrieb. Die Portionen lassen sich nur schwer verkleinern, wenn der Gast nicht beim Thema abgeholt und sensibilisiert wird. Wenn das von mehreren Seiten aus geschieht, ist die Sensibilisierung natürlich stärker. Wir sind jahrelang in eine Richtung gesteuert, wo es alles in Massen gab und ein viel zu grosses Angebot. Jetzt müssen wir gegensteuern, unser Verhalten überdenken und ändern – das braucht Zeit.

«Food Save ist auch ökonomisch attraktiv.»

 

EH: Geht es nur um die Umwelt, oder ist die Vermeidung von Lebensmittelabfällen auch wirtschaftlicher?

AP: Für die meisten Betriebe ist das natürlich wirtschaftlich interessant. Wir haben 2016 eine Studie mit 17 Hotelbetrieben durchgeführt, um herauszufinden, was ein Kilo Food Waste wirklich kostet. Dazu haben wir eine Art Vollkostenrechnung aufgestellt, bei der man alles miteinbezieht: von den Warenkosten über die Lagerkosten und Personalkosten bis hin zur gesamten Infrastruktur, inklusive Strom, Wasser, Gas, Abwasch und Abfallentsorgung. 2016/2017 lagen wir in der Grössenordnung von 24 Franken pro Kilo Food Waste. Inzwischen sind wir aufgrund der Inflation und der gestiegenen Personalkosten schätzungsweise bei 30-35 Franken. Bei den grossen Betrieben wie Spitäler können das schnell um die 100’000 Franken im Monat sein. Bei kleineren Betrieben wie Altersheime und Hotels bis zu 40’000 Franken im Monat. Das sind keine unwesentlichen Beträge.

 

EH: Wie unterstützen Sie die Gastronom:innen konkret dabei, Lebensmittelabfall zu vermeiden?

AP: Zunächst einmal muss man von reduzieren sprechen, vermeiden ist leider nicht vollständig möglich. Es fällt immer etwas Food Waste an, beispielsweise werden Knochen und nicht essbare Teile von Obst und Gemüse ebenfalls dazu gezählt.

Wir unterstützen die Gastronom:innen mit unserem Food Save Management Prozess. Das Kernstück ist die Sensibilisierung der Mitarbeitenden im Betrieb. Damit stärken wir die Kompetenz im Team. Durch organisiertes und bewusstes Arbeiten kann schon eine Menge an Food Waste eingespart werden. Am Anfang des Prozesses ist jedoch eine der wichtigsten Massnahmen, und zwar die Lebensmittelverluste über 28 Tage, also vier Wochen, zu visualisieren. Sprich in einzelnen Lebensmittelkategorien zu trennen, zu wiegen und die Messdaten in einem Tool zu erfassen, damit ersichtlich wird in welcher Kategorie Potenzial zur Einsparung besteht. Dieser Prozess ist zwar aufwendig, dafür sensibilisiert die Messung gleichzeitig die Mitarbeiter, da diese direkt und täglich mit den Lebensmittelverlusten konfrontiert werden. Bereits da findet ein Umdenken statt.

Eine solide Messmethode und ein Instrument sind die Basis. Hier kommt von der Excel-Liste bis zum vollautomatischen Tool alles zum Einsatz – wir selbst nutzen mit dem 'Waste Tracker' ein pragmatisches digitales Werkzeug, das Technologie und Praktikabilität pragmatisch kombiniert. Zusätzlich haben wir die Food Save App, die 225 Massnahmen auf unterschiedlichen Ebenen enthält, um den Food Waste in den Betrieben zu reduzieren.

Entweder stellt ein Betrieb nach der Messung fest, dass schon vieles richtig gemacht wird und nur noch Feintuning betreiben werden muss. Oder er merkt, dass er an zum Beispiel an der Kinderkarte etwas ändern muss und die Portionsgrössen dem Alter entsprechend berechnen muss. Andere Betriebe stellen fest, dass sie einen zu grossen Tellerrücklauf haben. Und sehen dann etwa, dass an gewissen Tagen weniger Suppe gewünscht wird. Manchmal ist auch der Teller selber viel zu gross, denn dieser hat ebenfalls einen grossen Einfluss auf die Portionengrösse.

EH: Wie sieht es bei der Produktionsplanung aus?

AP: Hier ist es wichtig, mit dem Personal anschauen, was beim Handover oder Mise en Place verbessert werden kann. Auch der Berechnungsschlüssel muss oft angepasst werden. Bei einem Flying Buffet etwa wird oft eine ganze Portion pro Gast berechnet, was natürlich zu viel ist. Generell werden auf äussere Faktoren zu wenig geachtet. Dabei sind es ganz simple Sachen: So bestimmt auch das Wetter das Essverhalten von uns Menschen. Wenn es draussen warm ist, essen die Menschen viel weniger. Im Winter dagegen viel deftiger, weil der Körper Energie braucht. Auch die Ferienzeiten und das Alter der Kundschaft haben einen Einfluss.

 

EH: Gibt es auch zentrale Tipps, die jedem Gastronomiebetrieb helfen können, Food Waste zu reduzieren?

AP: Wenn zum Beispiel der Tellerrücklauf zu gross ist – also wirklich zu gross, bei etwa 40-100 Gramm pro Person – muss man schauen, was genau immer wieder vom Menü zurückkommt, und sich dann den Menüplan vornehmen: Warum gab es an diesem Tag zu viel Suppe? Wer hat sie produziert oder wurde vielleicht auch die Übergabe nicht richtig gemacht? Ein anderes Thema ist der Brotrücklauf. Wie sieht es damit aus? Muss der Service das Brot immer unaufgefordert auf den Tisch stellen oder fragen wir lieber den Gast direkt, ob er überhaupt etwas Brot möchte.

Bei einem mehrgängigen Menü, kann man sich die Frage stellen: Haben der Küchenchef und das Küchenteam das ganze Menü jemals selbst gegessen? Nicht, dass der Gast schon längst satt ist, aber nochmal vier Gänge serviert werden. Es ist eine gute Idee, das einmal selbst für sich zu prüfen.

«Je mehr Wissen vorhanden ist, desto effektiver kann man Food Waste vermeiden.»

Und zuletzt noch auch die Frage: Wo können wir uns ausserhalb des Arbeitsalltags mit der Thematik beschäftigen? Sich wirklich zu sensibilisieren, heisst auch, mal über den Tellerrand hinauszuschauen. Als Betrieb beispielsweise zu den Produzenten zu gehen, um zu sehen, wie alles wächst und welcher Aufwand in einem Lebensmittel steckt. Oder bei sozialen Projekten zu helfen, um auch den sozialen Charakter zu verstehen, der mit dem Thema verbunden ist. Zu sehen, dass es vielen Leuten nicht so gut geht. Als Koch oder Köchin in einer Grossküche mithelfen, zum Beispiel bei der Schweizer Tafel. Und zu überlegen: Was sind die ökologischen Auswirkungen für unseren Betrieb? Das sind alles Massnahmen, die wir auch in unseren Workshops mit den Betrieben durchgehen. Denn je mehr Wissen ich über etwas habe, desto mehr kann ich damit anfangen. Und wirklich etwas verändern.

United-Against-Waste.ch

 

«United Against Waste» wurde 2013 als Initiative gegen Lebensmittelverschwendung für die Food-Branche gegründet. Zu den mittlerweile mehr als 190 Mitgliedern und Akteuren gehören Betriebe der ganzen Lebensmittelwertschöpfungskette, kleine Gastronomiebetriebe genauso wie die meisten grossen Detailhändler. Ziel ist es, die gesamte Lebensmittelbranche zusammenzubringen, um die Lebensmittelverschwendung in der Schweiz effektiv zu reduzieren: Von der Landwirtschaft über die Verarbeitung und den Handel bis hin zu Supermärkten, Grossproduzenten und der Gastronomie.

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