Heute kocht er nicht mehr für Promis, sondern für Patientinnen

Spitzenkoch Bernd Ackermann

Nach 30 Jahren in der Spitzengastronomie wünschte sich Bernd Ackermann einen weniger stressigen Alltag und mehr Zeit für seine Kinder – und wechselte vom St. Moritzer Suvretta House in die Grossküche der Schweizerischen Epilepsie-Stiftung in Zürich. Das war zuerst ein Schock, doch seine Ambitionen brachte er natürlich mit. Ein Glücksfall für die Patientinnen und Patienten.

Bernd Ackermann, als Sie 2015 zum ersten Mal in der Grossküche der Schweizerischen Epilepsie-Stiftung in Zürich standen – was sahen Sie da?

Bernd Ackermann: Es war eine komplett neue Welt. Ich kam von der Nouvelle Cuisine, und nun stand ich vor diesen Riesentöpfen, diesen 250-Liter-Kesseln mit Tomatensuppe. Ich sah die Riesenmengen, die hergestellt werden, die Riesenmengen auch, die angeliefert werden: Fleisch, Fisch, Gemüse. Das sind enorme Summen. Es kamen auch sehr viele Convenience- und Fertigprodukte zum Einsatz. Das wollte ich ändern.

 

Wie schafften Sie das?

Es brauchte Zeit. Und die Unterstützung der Direktion, die auch in Kauf nahm, dass meine Küche im Einkauf etwas teurer ist. Sie müssen wissen, dass sich hier viele alteingesessene Patientinnen und Patienten an diese alte Art der Küche gewöhnt hatten. Sie kannten nichts anderes als Convenience-Produkte, sie würzten ihre Speisen mit Maggi und Aromat. Ich aber wollte moderner und frischer kochen, wollte einheimische Produzentinnen und Produzenten berücksichtigen. Ich wollte die Saucen frisch ansetzen, die Suppen, die Fonds. Wie wir’s in der Ausbildung mal gelernt hatten. Ich wollte Knochen und Karkassen auskochen und mit Zwiebeln, Knoblauch und Kräutern arbeiten statt mit Maggi und Aromat.

 

 

Hatten Sie Erfahrung mit diätetischer Küche?

Überhaupt nicht. Mir war schnell klar, dass ich mir dieses Wissen unbedingt aneignen muss – und ging nochmals ein Jahr zur Schule. Und da stellte ich fest, dass es kaum moderne Koch- und Rezeptbücher gibt für Köchinnen und Köche, die für Menschen mit Schluckstörungen kochen. Diese Menschen bekamen ihr püriertes Essen – auch bei uns! – immer noch quasi mit dem Glacelöffel serviert. Mir war klar, dass ich das ändern will. Inzwischen hatte ich einige neue Leute anstellen können, darunter solche, mit denen ich früher in der Spitzengastronomie gearbeitet hatte. Sie kannten mich, sie wussten, was ich möchte. Zusammen investierten wir viel Zeit, um das Essen für Menschen mit Schluckstörungen angenehmer und schöner zu machen.

 

Was genau taten Sie?

Unsere Philosophie war, dass wir das pürierte Essen nicht mehr mit dem Glacélöffel servieren möchten, sondern dass es möglichst wie das Original aussehen sollte. Wir waren überzeugt, dass wir den Patientinnen und Patienten damit ein Stück Lebensqualität zurückschenken können. Wir erkundigten uns, was es für Formen gibt – in der Schweiz, aber auch überall in Europa und sogar in den USA. Welche Formen existieren bereits? Welche sind lebensmitteltauglich? Und welche können wir selbst herstellen? Wir waren überzeugt, dass es in der heutigen Zeit möglich sein muss, püriertes Essen wie das Original aussehen zu lassen. Wir haben viel ausprobiert, haben Hausfrauen unsere Rezepte nachkochen lassen, haben Lernende und Logopäden die Rezepte nachkochen lassen. Wir gingen an die Berufsschulen, waren überall unterwegs – und als dann das Buch rauskam, waren in einem halben Jahr drei Viertel der Auflage weg.

 

Wer kauft das Buch?

An den Berufsschulen kommt es regelmässig zum Einsatz. Wir unterstützen aber auch gern andere Betriebe, die mit dieser Art Küche vielleicht noch nicht so viel Erfahrung haben, wir helfen Alters- und Pflegeheimen.

 

Wie reagieren die Patientinnen und Patienten?

Die sind begeistert. Sie können es zum Teil gar nicht glauben, wie es uns gelingt, das Essen so schön aussehen zu lassen. Und dass es auch geschmacklich so nah ans Original rankommt. Es gibt sogar Patientinnen und Patienten, die sich unser Essen nach Hause liefern lassen, wenn sie bei uns mal ausgetreten sind. Das ist gerade für Familienangehörige eine riesige Erleichterung. Wir produzieren das Essen vor, und dann muss man es zu Hause nur noch auf den Teller legen und warm machen.

 

 

Sie sprechen immer von püriertem Essen – aber welche Konsistenz hat das eigentlich?

Die lässt sich am ehesten mit einer Crème Caramel oder einem stichfesten Joghurt vergleichen.

 

Das Essen nicht nur zu pürieren, sondern es dann auch noch möglichst wie das Original aussehen zu lassen, ist eine sehr aufwändige Küche, richtig?

Auf jeden Fall. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn ich für Sie ein Geschnetzeltes koche, bin ich fertig, sobald ich es aus der Pfanne nehme. Für Menschen mit Schluckstörungen geht die Arbeit dann erst richtig los. Im Anschluss ans Kochen in der Pfanne wird das Geschnetzelte püriert, dann dressieren wir es in eine Form, dann frieren wir es an, dann stürzen wir es auf den Teller. Das sind nochmals einige sehr arbeitsintensive Prozesse mehr. Doch der Aufwand lohnt sich, und ich bin dankbar, dass wir bei uns die Möglichkeit haben, das so umzusetzen. Ich bin überzeugt, dass Essen, auf das man Lust hat, zur Genesung beiträgt.

 

Gibt es eigentlich etwas, das Sie von Ihrem alten Arbeitsleben in St. Moritz vermissen?

Nein. Aber ich will ehrlich sein: Anfangs tat ich mich schwer. Ich bewegte mich in St. Moritz in gewissen Kreisen, hatte ein anderes Publikum, auch andere Berufskolleginnen und Berufskollegen. Ich war auch ab und zu in den Medien. Ich kochte für die Schönen und Reichen. Aber ich bin jetzt 54 Jahre alt, ich habe all das gesehen, und irgendwann hat es einfach Klick gemacht: Ich habe gemerkt, dass es mir viel mehr bedeutet, für die Menschen in der Epilepsie-Stiftung zu kochen. Man kann hier die Menschen mit so wenigen, so einfachen Mitteln so glücklich machen. Ihre Reaktionen sind ehrlich, ihre Anerkennung ist es auch. Sie schätzen wirklich, was wir für sie tun, das macht mir eine riesige Freude.

 

 

Der Koch und sein Buch

Bernd Ackermann, 54 Jahre alt, war Chefkoch im legendären St. Moritzer Fünfsternehotel Suvretta House, zudem kulinarischer Leiter des World Economic Forum in Davos. Doch nach 30 Jahren hatte er genug von der Spitzengastronomie. Er wünschte sich einen weniger stressigen Arbeitsalltag und wollte mehr Zeit für seine Kinder haben. Von diesem Wunsch erfuhr der frühere Direktor des Hotel Steffani in St. Moritz, der inzwischen Leiter Hotellerie der Schweizerischen Epilepsie-Stiftung in Zürich war, und kam auf Ackermann zu.

Seit 2015 leitet Bernd Ackermann nun die Grossküche der Epilepsie-Stiftung. Er hat 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit denen er täglich rund 1200 Menüs zubereitet. Etwa 40 Prozent davon für Menschen mit Schluckstörungen. Das können Menschen mit Epilepsie sein oder solche mit neurologischen Herausforderungen. Je nach Grad der Erkrankung gibt es verschiedene Konsistenzformen, in denen das Essen angeboten wird – von der Flüssignahrung bis zum Fingerfood. Das Hauptaugenmerk gilt aber der sogenannten Koststufe vier, die von der Konsistenz her an eine Crème Caramel oder ein stichfestes Joghurt erinnert.

Das Gelände der Epilepsie-Stiftung in Zürich ist so gross wie 17 Fussballfelder und verfügt über rund 50 Gebäude. Von Ackermanns Zentralküche aus wird das Essen in Induktionswagen und Elektrofahrzeugen auf dem Areal verteilt, direkt in die Wohngruppen, die Wohnhäuser und die Hauptklinik.

Sein Buch «Make food soft», mit dem er das Kochen für Menschen mit Schluckstörungen revolutioniert hat, ist hier erhältlich: Hier zum Buch 

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