Warum?
Weil sich diese Kausalität, dass ich etwas esse und deswegen krank werde, in der Ernährung nicht so leicht herstellen lässt.
Und diese ultrahochverarbeiteten Produkte gewinnen auf dem Markt an Bedeutung?
Das lässt sich feststellen, ja. Und es ist ja auch verständlich, denn häufig sind das Produkte mit einem sehr hohen energetischen Wert, aber einem geringen Anteil an sonstigen wichtigen Nährstoffen.
Zum Beispiel?
Nehmen wir Süssgetränke mit Orangegeschmack. Sie werden mit Sicherheit nicht einfach so 25 Gramm Zucker essen, richtig?
Richtig.
Aber Sie trinken vielleicht ein Glas Saft. Und ein Glas Saft kann durchaus der Menge von z.B. fünf Orangen entsprechen. Aber wenn Sie diese Orangen ganz verzehren, dann essen Sie die mit allen Bestandteilen, die so eine Frucht enthält. Beim Saftpressen aber werden bestimmte Aspekte entfernt, die Fruchtstückchen beispielsweise, damit am Ende diese klare Struktur des Safts entsteht. Dabei enthalten die Fruchtstückchen teilweise ganz wichtige Nährstoffe oder Nahrungsfasern. Generell lässt sich über hochverarbeitete Produkte sagen, dass sie toll schmecken, weil sie zum Beispiel sehr fetthaltig sind, was wir aus evolutionären Gründen mögen, oder sie sind sehr süss, was wir ebenfalls mögen. Oder sie haben diesen Umami-artigen Geschmack, also diesen herzhaften, fleischigen Geschmack, der auf einen Protein-, einen Eiweissgehalt hinweist, und auch das essen wir evolutionär bedingt gern.
Und das ist schlecht?
Ich sage nicht, dass wir solche Lebensmittel nicht essen dürfen. Klar dürfen wir das. Es geht um die Menge. Die Menge kann es problematisch machen.
Man unterscheidet Convenience Food nach Stufen, richtig?
Richtig, es gibt verschiedene Stufen, verschiedene Skalen, da herrscht nicht überall Einigkeit.
Es heisst, etwa 80 Prozent der Lebensmittel, die wir kaufen, sind in irgendeiner Form vorbereitet.
Das stimmt. Convenience Food ist nicht grundsätzlich schlecht. Es gibt im Convenience-Bereich viele Produkte, die gesund sind, ich denke an gerüsteten Salat, Tiefkühlgemüse, Tiefkühlfrüchte, das ist alles auch von den Nährwerten her spannend, gesund und ausgewogen.
Sie selbst greifen zu Hause auch mal in die Tiefkühltruhe, statt dass Sie Gemüse selbst rüsten und zuschneiden?
Aber natürlich tue ich das! Ich bin berufstätig, habe drei Kinder grossgezogen. Convenience heisst ja nichts anderes als Bequemlichkeit. Oder netter formuliert: Es ist gesparte Zeit. Wenn ich etwas habe, das ich nur noch aufwärmen muss, erspart es mir den Aspekt des Rüstens oder auch des aufwendigeren Kochens. Wir leben in unseren hochindustriell geprägten Ländern in einer zeitknappen Umgebung. Da konkurrieren bestimmte zeitliche Anforderungen. Und vielen stellt sich die Frage: Wie schaffe ich es in meinem vollgetakteten Tag, dass am Abend etwas Verzehrfertiges auf dem Teller liegt?
In der Schweiz verwenden wir im Durchschnitt 38 Minuten pro Tag fürs Kochen.
Seien wir ehrlich: Bestimmte Zubereitungsarten brauchen einfach länger als 38 Minuten. Hülsenfrüchte brauchen allein zum Kochen bis zu 60 Minuten, und davor haben Sie sie noch 12 Stunden einweichen müssen. Aber eine Dose öffnen und schnell ein leckeres Hummus zubereiten – das liegt drin.
Wie hat sich die Zeit, die wir in der Küche verbringen, über die Jahre verändert?
Dazu gibt es leider keine belastbaren Studien, aber es liegt auf der Hand, dass wir früher länger in der Küche standen: Wir mussten anfeuern, dann das Gemüse aus dem Keller holen, es von der Erde befreien, es waschen, schälen, rüsten. Genau hier kommen uns Convenience-Produkte heute so entgegen, und darum fände ich es falsch, wenn wir Convenience Food nur als «schlecht» oder nur als «gut» bezeichnen würden. Nein, man muss es immer genauer betrachten.
Wir als Konsumentinnen und Konsumenten sind gefragt?
Wir müssen uns natürlich darauf verlassen können, dass die Herstellerinnen und Hersteller ebenfalls ihren Beitrag leisten, uns möglichst gute Lebensmittel zu verkaufen, die gewissen Erwartungen und Richtlinien entsprechen. Aber ja – wir müssen uns vor allem auch selbst immer wieder fragen: In welcher Situation will ich alles selbst zubereiten, und wo bin ich bereit, Abstriche zu machen? Ich spreche in diesem Zusammenhang immer vom Viereck. Mein Kochentscheid muss meinen gesundheitlichen, meinen geschmacklichen, meinen zeitlichen und meinen Werte-Kontexten entsprechen. In diesem Viereck halten wir uns auf, mal berücksichtigen wir stärker den gesundheitlichen Aspekt, mal stärker den zeitlichen. Aber dessen sollten wir uns bewusst sein.