Innovation Experteninterview

Rolf Caviezel – der Freestyle-Koch

Rolf Caviezel

Er kochte im Quellenhof in Bad Ragaz, im Suvretta House in St. Moritz, im Zürcher Dolder und ist ein bekannter Kochbuchautor. Heute experimentiert Rolf Caviezel mit neuen Kochtechniken und spannenden Aroma- und Geschmackskombinationen in seiner Laborküche in Grenchen.

ENJOY HACO: Herr Caviezel, weshalb ist auch im Jahr 2022 ihr kulinarisches Steckenpferd die Molekularküche?

Rolf Caviezel: Vieles, was heute in den professionellen Küchen gemacht wird, stammt aus der Molekularküche. Sous-vide-garen oder Espumas zum Beispiel. Nur nennt man das heute nicht mehr so. Und ich bin jemand, der nicht mit dem Strom schwimmt und gerne etwas provoziert.

EH: Man könnte Sie aber auch als Tüftler bezeichnen. Sie erforschen gerne Neues, kreieren spannende Geschmackserlebnisse und wagen sich an ungewöhnliche Kombinationen. Was machen Sie genau in Ihrer Laborküche?

RC: Eigentlich nichts Spektakuläres. Am liebsten arbeite ich mit einfachen, lokalen Produkten, die ich auf etwas andere Art auf den Teller bringe. Aus einer ganz gewöhnlichen Zuckerrübe mache ich zum Beispiel eine Suppe. Und aus Sauerteig mache ich eine vegane Variante der Fisch-Knusperli. Dazu steche ich mit einem Löffel Nocken aus dem Teig, die ich in Rapsöl frittiere und mit einer Tartar-Sauce serviere. Es geht mir darum, aus meiner Komfortzone zu gehen, ständig zu experimentieren, Neues zu entdecken und auszuprobieren und mein Kochen weiterzuentwickeln.

EH: Ist das im Alltag nicht etwas aufwendig?

RC: Es braucht immer etwas Zeit, Neues auszuprobieren. Doch je mehr man experimentiert, desto einfacher wird es. Klar ist aber, dass Innovation heutzutage in der Profigastronomie ein Muss ist. Die Zeiten, in denen den Gästen die immer gleichen Gerichte vorgesetzt wurden, sind vorbei. Das funktioniert nicht mehr, die Gäste sind wesentlich anspruchsvoller geworden. Sie haben auch ein grösseres Kochwissen und ein Bewusstsein für gute Produktqualität entwickelt.

«Innovation ist heute für jeden Gastroprofi ein Muss.»

Deshalb können sie auch beurteilen, von welcher Qualität das Aufgetischte ist. Von einem Restaurantbesuch erwartet der heutige Gast ein Erlebnis mit neuen kulinarischen Ideen, Kombinationen und Geschmackserlebnissen. Wenn das nicht geboten wird, verzichten sie lieber auf das Auswärtsessen und kochen sich Zuhause etwas Feines. Profi-Köche müssen sich also auf neues Terrain wagen. Das gilt nicht nur für Restaurant-Köche, auch in der Care-Gastronomie ist das aktuell ein grosses Thema.

EH: Sie sind bekannt für ungewohnte Geschmackspaarungen. Welche begeistern Sie am meisten?

RC: Im Moment finde ich Kombinationen mit Sauerkraut spannend. Früher gehörte Sauerkraut zur Alltagsküche, die jüngere Generation kennt es hingegen kaum mehr. Dabei ist seine Säure fantastisch. Meine Version besteht aus einem Sauerkrautbett belegt mit paniertem und frittiertem Sbrinz und dazu etwas lauwarme, dunkle Schokoladensauce. Das Spiel von süss und sauer zusammen mit der salzigen Komponente des Käses ist wunderbar.

«Süss, sauer und salzig – ein schönes Spiel!»

Kraut mag ich generell – so ist eine meiner Dessertkreationen eine Rotkraut-Glace. Der Kohlgeschmack harmoniert gut zur süssen Komponente. Und auch die Kombination von Blumenkohl mit Erdbeeren mag ich sehr. Der süsse, fein saure Geschmack der Erdbeeren ergänzt den milden, kohligen Geschmack des Blumenkohls perfekt – etwa als Blumenkohl-Couscous mit Erdbeerwürfeln.

EH: Welche Kochtechniken gibt es sonst noch, mit denen sich spannende Gerichte zubereiten lassen?

RC: Das Thema Konsistenzen ist sicher interessant. So kann man einen Sellerie verkohlt, als Püree oder Espuma zubereiten und zu einem einzigen Gericht kombinieren. Die Gäste mögen solche Überraschungen und freuen sich daran. Auch die Chips-Technologie ist eine Art, Neues auf den Teller zu bringen. Ein zugefügter Randenchip auf einem Gericht kann durch seine Knusprigkeit den Genuss massgeblich steigern. Farben sind auch ein Thema, damit kann man schön spielen. Ich koche etwa Teigwaren in Randensaft, damit sie eine schöne rote Farbe annehmen.

«Eine Kochtechnik entdeckt bei der Parfumherstellung.»

Eine andere Technik ist, Lebensmittel in Fett einzulegen. Dazu lege ich Rindsmedaillons in kleine, mit Holzwolle belegte Geschirre. Diese begiesse ich mit einer auf zirka 40 Grad erwärmte Mischung aus Rinderfett, Rapsöl, Butter, gewürzt mit etwas Salz und Pfeffer. Dann lasse ich alles Festwerden, breche die Medaillons aus und gare sie Sous-vide. Das funktioniert nicht nur mit Fleisch, sondern auch sehr gut mit Gemüse. Diese von der Parfumtechnik ‘Enfleurage’ ausgeliehene Technik produziert wunderbar intensive Aromen.

Neuerdings arbeite ich auch gerne mit der sogenannten Erdtechnik. Damit werden Lebensmittel in kontrollierter Erde, also speziell aufbereiteter Erde, gegart. Damit lässt sich der erdige Geschmack in das Gargut übertragen. Eine Walderde zum Beispiel riecht nach Pilzen, und so erhält das darin Gekochte einen leichten Pilzgeschmack.

EH: Geschmacksgebende Komponenten wie Säure können den Genuss massgeblich steigern. Wie geht man da am besten vor?

RC: Es ist wichtig, zunächst mit den weniger dominanten Aromakomponenten anzufangen. Also den fruchtigen, krautigen, blumigen, animalischen. Erst dann sollten die mittleren Aromen, also die nussigen, gerösteten, karamelligen und käsigen, zugefügt werden. Die intensivsten Aromen, also die Süssen und Sauren, kommen erst ganz am Schluss.

Das ist wichtig, denn diese können sonst zu dominant werden. Ich arbeite mit einem Aroma-Kubus, auf dem die Aromen geordnet aufgelistet sind, und ordne die Lebensmittel, die ich verarbeiten möchte, entsprechend zu. Das hilft mir, um in der Küche komponieren zu können. Auch ein Taurus-Aromarad aus der Aromatherapie eignet sich dazu.

 

EH: Auf sollen Profis bei der Fahndung nach interessanten Geschmackskombinationen sonst noch achten?

RC: Unbedingt mit seinen Lieferanten und Produzenten das Gespräch suchen und mit ihnen über Aromen und Geschmack der Lebensmittel diskutieren. Ein solcher Austausch ist wichtig und geht im Alltag oft verloren. Und so blöd es sich vielleicht anhört: fernsehen! Es gibt viele interessante Kochshows, die inspirieren können. Im Grunde geht es vor allem darum, sich laufend zu informieren und neugierig zu bleiben.

freestylecooking.ch

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