Innovation durch Digitalisierung? Wer diese richtig einsetzt, wird nicht nur effizienter, sondern eröffnet Möglichkeiten, dem Gast Neues zu bieten.
Innovation durch Digitalisierung? Wer diese richtig einsetzt, wird nicht nur effizienter, sondern eröffnet Möglichkeiten, dem Gast Neues zu bieten.
Digitalisierung wird in der Gastronomie oft unterschätzt. «Dass sie weit über die digitale Kasse hinausgeht, ist vielen noch nicht ganz bewusst», sagt Ivica Balenovic, CEO von Aleno, einem Anbieter für digitale Werkzeuge und Systeme für die Gastronomie. Und beantwortet damit gleich die Frage nach dem Digitalisierungsgrad der Schweizer Gastronomie: Es hängt davon ab, wie man Digitalisierung definiert. Und natürlich auch von der Grösse eines Betriebs – grosse Restaurantketten sind wesentlich digitalisierter als ein kleiner Betrieb.
Ohne digitale Tools läuft heute in der Gastronomie gar nichts
In der Gastrobranche geht es heute auch nicht mehr darum, ob man die Digitalisierung will oder nicht. Wer sich ihr verschliesst, bekommt ein Problem. Davon ist Magnasch Joos, Inhaber des Gastro-Beratungsunternehmens Suited & Booted in Zürich überzeugt. Die Gründe sind genauso naheliegend wie dringend: gravierender Personalmangel und grosser Effizienz- und Kostendruck. Bei der aktuellen Lage in der Gastrobranche, ist es schon fast eine hohe Kunst, wirtschaftlich arbeiten zu können. Joos: «Man kommt nicht mehr drumherum, die Prozesse mithilfe digitaler Tools zu optimieren.»
So gibt es Personalplanungssysteme, die Wetter-Daten analysieren und Prognosen liefern bezüglich des zu erwartenden Gästevolumens. Damit kann der Personaleinsatz präziser und flexibler geplant werden. Und es gibt Tools, mit denen Einkauf, Lagerung, Warenbewirtschaftung und Produktion in der Küche optimiert werden. Interessant dabei: Digitale Produktionspläne, die so clever sind, dass in der Küche nicht mehr täglich produziert werden muss, sondern Gerichte als Inhouse High Convenience vorproduziert werden. Dabei wird zwar immer noch frisch gekocht, das Essen wird jedoch vakuumiert schockgefroren. So braucht es weniger Köche und zum Regenerieren der Speisen weniger qualifiziertes Personal. Und das Angebot kann den Gästebedürfnissen entsprechend angepasst werden: Die Gäste werden dazu für die Supply Chain segmentiert. Und was nicht läuft, wird ganz schnell aus dem Menü gestrichen.
Gastronomen setzen vermehrt auf digitale Tools
Im Marketing ist die Digitalisierung mit dem Versand von Newslettern und der Bespielung von Social-Media-Kanälen bereits selbstverständlich geworden. Doch digitales Marketing kann mehr als das: Zum Beispiel tracken, welche Kampagnen auf welchen Kanälen erfolgreich sind. Weiter können die Gästedaten aus dem CRM als Basis für Direktmarketing und Upselling genutzt werden. Damit wird ersichtlich, wer wann, wie oft und zuletzt Gast war. Auch kann der Umsatz pro Gast ermittelt werden und die Gäste entsprechend bewertet. Eine Zukunftsvision ist, dass potenzielle Gäste beim Vorbeilaufen an einem Restaurant eine personalisierte Push-Nachricht auf ihrem Smartphone erhalten.
«Die Einstiegshürden sind für Gastronomen aber hoch», warnt Joos. Nicht zuletzt, weil sie sich eigentlich lieber ums Essen, den Service und die Gäste kümmern möchten als um Digitalisierung – auch wenn damit die Effizienz und Profitabilität des Betriebs verbessert werden kann. Joos: «Ungenügendes Know-how und fehlende Akzeptanz ist einer der wichtigsten Gründe, weshalb der Digitalisierungsschub nicht passiert». So sind Online-Bestellungen und -Bezahlungen per QR-Code für viele noch nicht selbstverständlich, obschon man damit weniger Personal benötigt. Beim vorherrschenden Personalmangel ist das kein unwesentlicher Faktor. Der Einwand, dass dadurch der Kontakt zum Gast verloren gehe, lässt Joos nicht gelten. «Auch bei der Digitalisierung gilt: Es geht immer um Kundenzufriedenheit. Kann ein Gast mit digitalen Tools schneller bestellen und zahlen als auf dem konventionellen Weg, ist das auch in seinem Interesse.»
Digitalisierung eines Betriebs kann zum Hürdenlauf werden
Laut Balenovic sind aber auch die Hersteller der digitalen Systeme noch ein Problem. «Die unterschiedlichen Systeme spielen oft nicht zusammen – und sind so mehr ein Ärgernis für die End-User als eine einfach zu bedienende Hilfe.» Es fehlt auch an guten, verständlichen Angebots-Übersichten für Laien. Für Gastronomen ist es deshalb eine grosse Herausforderung, die für sie richtige Lösung zu finden. Kommt dazu, dass oft auch Systeme verkauft werden, die zu viel können und nicht auf die Betriebsgrösse zugeschnitten sind. Jemand, der dreissig Betriebe führt, braucht ein anderes System, als jemand, der nur einen Betrieb hat. Balenovic: «Wenn ein System einem im Alltag aufhält statt hilft, dann scheitert man mit der Digitalisierung. Der ganze Prozess, die ganze Value Chain muss stimmen.»
Bei der Beschaffung digitaler Systeme und Tools ist es wichtig, eine genaue Bedarfsanalyse durchzuführen
Balenovic und Joos sind sich einig: Vor einer Investition in digitale Systeme und Tools ist es wichtig, klar zu definieren, was realistisch umsetzbar ist und was es genau braucht. Die Prozesse sollten deshalb genau analysiert werden. Erst auf dieser Grundlage sind die Möglichkeiten, wie der Betrieb weiterentwickelt werden und mehr Gewinn erzielt werden kann, erkennbar. Dann sollten Prioritäten gesetzt werden. Stehen die Prozesse im Vordergrund? Oder das Customer Relations Management? Wichtig ist, dass die Systeme von POS/PMS, Buchhaltung bis zum CRM untereinander kommunizieren können, und dass die Daten richtig gefiltert werden. Sonst kann ein undurchdringlicher Datendschungel entstehen. Da Digitalisierung auch ein substantielles Investment bedeutet – auch zeitlich bei der Implementierung – ist die Unterstützung von erfahrenen Experten fast immer ein Vorteil. Zwar bezahlt man für die Dienstleistung, doch man spart sich damit kostspielige und zeitintensive Fehlinvestitionen.
«Dynamic Pricing ist keine Utopie mehr.»
In der Systemgastronomie ist die Digitalisierung bereits in hohem Masse fortgeschritten. Hier kann man gut sehen, welchen Einfluss sie hat. So produzieren solche Betriebe weniger Food Waste, weil das Angebot auf die Nachfrage abgestimmt ist. Sie kontrollieren die ganze Value Chain vom Social-Media-Marketing bis zum Upselling, da sie mit den richtigen Daten wissen, welche Präferenzen der Gast hat. Sie kennen ihre Gäste und Vorlieben und können alles darauf abstimmen, und auch Dynamic Pricing mit Sparpreisen oder Rabatten zum perfekten Zeitpunkt anbieten. «Ein Teil der Gastroszene hat das noch nicht ganz verinnerlicht», sagt Balenovic.
Die Digitalisierung der Gastrobranche fängt erst richtig an
Die Gastrobranche steckt also immer noch mitten drin in der Digitalisierung. Was wird als Nächstes kommen? Naheliegend ist das Dynamic Pricing in Form von Spezialpreisen und -angeboten, so wie es in der Hotellerie bereits ganz und gäbe ist. «In Zukunft werden die bevorzugten Fenster- oder Terrassenplätze zu höheren Preisen angeboten», ist Balenovic überzeugt. Bei digitalen Menükarten lassen sich zudem die Preise laufend anpassen oder auf bestimmte Zeiten vorprogrammieren, z.B. können ab 20 Uhr andere Preise angezeigt werden als am frühen Abend. Und was heute noch etwas holprig daherkommt, wird laufend verbessert: die User-Experience. Mensch und Technik können so eine symbiotische, nahtlose Beziehung eingehen. Balenovic: «Der Innovationsgrad entwickelt sich damit zum unerschöpflichen Potenzial: So können als Beispiel Menüs individuell auf den Gast abgestimmt werden.»
Gegentrend 'analog'
Es kann aber auch einen Gegentrend geben, glaubt Joos. «Es wird spannende Betriebe geben, die sich dem Digitalisierungs-Trend entgegenstellen und ‘old school’ gedruckte Menükarten auflegen und nur Barzahlung entgegennehmen.» Mehr als eine reine Nischenbewegung wird das allerdings nicht sein. In allen anderen Betrieben setzt sich das Prinzip Effizienz durch. Und das geht nun einmal nur mit Digitalisierung.