Das Erste Zero Waste-Restaurant

Silo London: Kreislaufwirtschaft in der Gastronomie

Menu Silo

Das Londoner Restaurant Silo ist das erste Zero Waste-Restaurant überhaupt – und das erst noch auf Gourmet-Niveau. Gegründet wurde es von Küchenchef Douglas McMaster, der dafür mit Auszeichnungen wie «Young Chef of the Year Award» und «Britain’s Most Innovative Chef» bedacht wurde. Er repräsentiert die junge Generation von Köch:innen, für die Nachhaltigkeit eine Selbstverständlichkeit ist.

Zero Waste bedeutet im Silo-Alltag harte Arbeit: Die Butter wird von Hand geschlagen, von jedem geschlachteten Tier wird jedes Teil verwertet und alles, was nicht gegessen wird, landet in einem aeroben Komposter. Dieser produziert nährstoffreichen Kompost, der in die Natur zurückgeführt werden kann. Eine Mülltonne gibt es nicht. Die Köche arbeiten schnell und diszipliniert. Für alles gibt es ein ganz genaues Rezept. Wie viel Salz auf die geräucherte «Pink Fir»-Kartoffel kommt, wie lange die Tomaten in Salzlake eingelegt werden – alles ist auf das Gramm und die Sekunde genau festgelegt. Dies ist vielleicht nicht die aufregendste Art des Kochens, aber es hat sich im Silo als die effektivste Zero Waste-Strategie erwiesen. Auch bei der Einrichtung des Lokals wird das Prinzip Zero Waste ganz genau umgesetzt. Der Lampenschirm besteht aus einem Myzel-Pilz, der auf gebrauchten Biertrebern gezüchtet wird. Die Bar ist aus einem Material aus Abfall-Leder, und die Teller waren einmal Plastiktüten.

«Abfallvermeidung und Resteverwertung: Einschränkungen ermutigen zum Experimentieren.»

Das strikt saisonale Menü wird auf die Wand projiziert, so kann es ständig aktualisiert werden – die Ressourcen in der Küche sind durch konsequente Abfallvermeidung und Resteverwertung begrenzt und entsprechend auch das Angebot. Zum Beispiel gibt es eine Vorspeise aus süssem, knackigem Rettich mit einer aromatischen Dill-Mayo. Dazu gibt es das frisch gebackene Brot und die frisch geschlagene Butter. Etwas Besonderes sind die tellergrossen, hauchdünnen und knusprig-frittierten Quavers-Fladen, die aus Rest-Buttermilch zubereitet werden und mit Randen-Melasse und einem Ziegenkäse aus dem englischen Dorstone serviert werden. Eine schöne Kombination aus süssen und käsigen Aromen und knusprigem Boden. Dann gibt es die langgezogenen Ziegenhorn-Peperoni mit fermentierten Chilis. Alles gemässigt scharf und mit dem charakteristischen Aroma des offenen Feuers, auf dem die Peperoni geröstet wurden. Und saftige Bavette-Steaks werden mit geräuchertem Miso zu schöner Harmonie gebracht. Eine grosse Bedeutung kommt im Zero Waste-Restaurant Fermentiertem zu – eine gute Methode, Ressourcen zu maximieren. Damit können Lebensmittel einerseits haltbar gemacht werden. Andererseits können durch Fermentation, etwa mit Koji oder Miso, Gerichte mit köstlichem Umami-Geschmack gezaubert werden.

«Die Aromen, Texturen und Kochtechniken, die im Silo zur Schau gestellt werden, sind beeindruckend.»

Kulinarisch interessant ist der Einsatz von Lebensmitteln, die in der Gourmetküche als unverwertbar gelten. Den japanischen Staudenknöterich beispielsweise, eine rhabarberähnliche Pflanze – ihrer rasanten Ausbreitung wegen der Schrecken jedes Gärtners. Der Knöterich landet im Silo nicht nur auf dem Teller, sondern auch als Drink ‚Heaps Mad Shit‘ im Cocktailglas. Auch Molke, die bei der Käseproduktion anfällt, steht ganz oben auf der Zutatenliste von Silo sowie Seegras und Unkraut. Daneben viel Wurzelgemüse, wie Randen, Karotten und Kartoffeln, das seit jeher auf Bauernhöfen auch bei widerlichen Umständen wächst. McMaster hat auch schon mit Kompost gekocht. Dazu hat er Karotten im verbrannten Kompost aus unverkauften Zitronen geräuchert. Mit dem Resultat, dass sie ein fantastisches Aroma hatten!

Sein Handwerk hat McMaster in Sterneküchen gelernt und zudem Praktika bei The Fat Duck von Heston Blumentahl und im Noma bei René Redzepi absolviert. Doch die Welt der Haute Cuisine war ihm zu dekadent. Erst die Arbeit in der Küche des Londoner Lokals St. John bei Fergus Henderson, der mit dem Nose-to-tail-Konzept weltweit für Furore sorgte, fand er um einiges befriedigender, wenn auch nicht radikal genug. Dass zehn Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen auf nicht verbrauchte Lebensmittel zurückzuführen sind – für McMaster eine unhaltbare Situation. Seine Schlussfolgerung: Auch die Gastronomie hat da Verantwortung zu übernehmen. Auf einer Reise durch Australien 2011 eröffnete er schliesslich zusammen mit einem Kumpel in Sydney und Melbourne das erste Zero Waste-Pop-Up-Café ‘Wasted’. Die Gäste waren begeistert, ein paar Auszeichnungen gab’s auch. Der Zero Waste-Chef kehrte nach England mit einem grossen Erfahrungsschatz zurück, entschlossen ein 100 Prozent abfallfreier Gastronomiebetrieb auf Gourmet-Niveau zu eröffnen. Ganz nach dem Motto: Das wirksamste Mittel, Nachhaltigkeit in der Gastronomie zu fördern: Mit einem schönen Lokal und köstlichem Essen überzeugen.

«Was aus der Natur kommt, ist wertvoll und sollte mit Respekt behandelt werden.»

Vor seinem Umzug nach London 2019, öffnete vier Jahre zuvor Silo seine Tür erstmals in einem Lagerhaus in Brighton an der englischen Küste. Das Zero Waste-Lokal schlug sofort hohe Wellen: Ein so radikal nachhaltiges Restaurant gab es bisher noch nicht – vor allem keins, das derart köstliche Speisen auftischte. McMaster arbeitete ausschliesslich direkt mit Produzenten und Landwirten – der Zwischenhandel wurde gleich abgeschafft. Einwegplastik im Restaurant verband und Lebensmittel wurden ausschliesslich in Mehrweg-Behältern transportiert. Die Mitarbeiter schulte er im Mehlmahlen, Brotbacken und in der Zubereitung von Vollwertkost, mit dem Ziel, dass keine Lebensmittel verschwendet werden.

«Alles sogenannt Unedle, oder was gar nicht für den Verzehr in Betracht gezogen wird, verwandelt das Silo in Gourmetgerichte.»

McMasters Blick geht heute über sein Restaurant Silo hinaus. Er startete eine Online-Kochschule mit kurzen Videos. Darin zeigt er, wie man Unkraut in etwas Essbares verwandelt oder stellt eine Sous-Vide-Alternative ohne Plastik vor. Er hält Vorträge, etwa an der MAD Academy in Kopenhagen, der von René Redzepi gegründeten Schule, die das Gastgewerbe reformieren will. Und er propagiert das Prinzip Wiederverwertung statt Rezyklieren. Um vom herkömmlichen, energieaufwändigen Altglas-Recycling wegzukommen, hat er sich zum Beispiel zwei Maschinen besorgt. Die eine mahlt das Altglas zu Sand, die andere verfeinert sie zu Puder. Aus dem Glaspuder kann Porzellan hergestellt werden – bei zirka 1000 Grad niedrigerer Hitze als beim Einschmelzen von Altglas, was eine grosse Energieersparnis bringt. Nach über zehn Jahren Zero Waste-Erfahrung hat McMaster den steinigen Weg zu mehr Nachhaltigkeit für Gastronom:innen mehr als nur geebnet. Er hat bewiesen, dass es machbar ist.

silolondon.com

Bilder: Matt Russell, Clare Lewington, Justin De Souza

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