Mit Essen spielt man nicht

Food Waste ist schon lange kein Trend mehr

Fries

Lebensmittelverschwendung ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, wenn es um die ökologische, aber auch wirtschaftliche Perspektive eines Gastro-Betriebs geht. Das Thema Food Waste ist daher weit mehr als nur ein Trend. Die richtige Zeit also, sich damit zu beschäftigen.

Mehr als ein Drittel aller geniessbaren Lebensmittel in der Schweiz landen im Müll; 14 Prozent der Schweizer Lebensmittelabfälle entstehen bei der Zubereitung in der Gastronomie; 9 Prozent der Produkte aus der Schweizer Landwirtschaft gelangen erst gar nicht auf den Teller, weil sie etwa nicht den ästhetischen Anforderungen entsprechen. Dies sind nur die Zahlen für die Schweiz. Europaweit werden jährlich 88 Millionen Tonnen weggeworfen, weltweit landet rund ein Drittel der Lebensmittel in der Tonne – Nahrung, die einmal aufwendig produziert wurde und eigentlich noch geniessbar war. Wäre die weltweite Lebensmittelverschwendung ein Land, wäre es der drittgrösste CO2-Verursacher nach China und den USA. Wer als Betrieb oder Unternehmen nachhaltiger auftreten möchte, kommt demnach nicht um das Thema Lebensmittelverschwendung herum. Dafür gibt es nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Gründe.

 

Food Waste weit mehr als nur ein Trend

In der Gesellschaft gewinnt das Problem der Lebensmittelverschwendung zunehmend an Bedeutung. Verbraucher und Gäste sind etwa durch die Medien und Dokumentarfilme wie «Taste the Waste» immer stärker dafür sensibilisiert, welche Auswirkungen Food Waste auf die Umwelt hat: Wir verschwenden wertvolle Ressourcen wie Land, Energie und Wasser und setzen darüber hinaus unnötige CO2 frei. Vor allem die jungen Gäste sind sich der Umweltauswirkungen von Lebensmittelabfällen bewusst und fordern Besserung.

 

Vermeidung von Food Waste sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll

Die Gründe für Food Waste sind vielfältig: In der Gastrobranche ist die Überproduktion das Hauptproblem. Das geht von der Angebotsbreite bis hin zu den Produktions- und Tellergrössen. Genauso viele Möglichkeiten haben Betriebe aber auch, Food Waste zu reduzieren. Denn das lohnt sich auch finanziell: Die durchschnittlichen Vollkosten von unnötigen Lebensmittelabfällen in den Gastronomiebetrieben belaufen sich nach einer Studie von «United Against Waste» im Jahr 2016 auf rund 24 CHF pro Kilo Food Waste. Inzwischen dürften es inflationsbereinigt bereits 30-35 Franken pro Kilo sein, schätzt Alexander Papst von «United Against Waste» im ENJOY-Experteninterview. Neben Umwelt- und Kostengründen ist eine Fokussierung auf die Reduzierung von Food Waste auch ein Marketinginstrument: Gerade weil die junge Generation viel Wert legt auf idealistische Werte, belohnt sie Unternehmen, die sich für einen guten Zweck einsetzen.

 

Der Kampf gegen Food Waste beginnt beim Einkauf

Das Reduzieren von Food Waste im eigenen Betrieb oder Unternehmen beginnt bereits mit dem Einkauf: Wer in seinem Betrieb oder Unternehmen Food Waste reduzieren möchte, fängt bereits beim Einkauf an. Gerade hier lohnt es sich zu schauen, wo Optimierungen möglich sind. «KITRO» ist eine automatisierte Datenerfassungs- und Analyselösung für Lebensmittelabfälle, die dank künstlicher Intelligenz Food Waste in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie reduzieren soll. Auch «United Against Waste» bietet eine eigene App an, mit der sich Lebensmittel bereits beim Einkauf tracken lassen.

 

Optimierung des Kochprozesses gegen Lebensmittelabfälle

Ob in der Industrieküche oder im Restaurant: Die Art und Weise der Kochtechniken hat einen grossen Einfluss auf die Menge an Lebensmittelabfällen. Das Reduzieren von Food Waste ist auch dem «ZFV» ein grosses Anliegen. Nicht nur, dass vegetarische und vegane Menüs einen festen Platz im Speiseplan haben, die Küchenteams werden explizit geschult und so für das Thema sensibilisiert. Dazu gehört auch eine gute Mengenplanung. So konnte der ZFV die Menge an Food Waste im Verhältnis zum Food-Umsatz bereits um 26 Prozent reduzieren. Auch die «SV-Group» hat die Vermeidung von Lebensmittelabfällen fest in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie verankert. Die SV-Group sieht in der Reduktion von Food Waste einen wichtigen Hebel zur Förderung einer nachhaltigen Ernährung, indem sie einen effizienten Ansatz für Abfall verfolgt. Zu den Massnahmen gehören die Kochpraktiken «Nose to tail» und «Leaf to root», um möglichst viel vom Tier oder der Pflanze beim Kochen verwenden zu können.

Auch in der Sterneküche steht das Reduzieren von Food Waste ganz oben auf der Agenda: so zum Beispiel bei Andreas Caminada, renommierter Dreisternekoch von Schloss Schauenstein. Seine Kunst besteht darin, nichts wegzuwerfen, sondern möglichst das ganze Produkt zu verwenden, von der Apfelschale bis zur Hühnerkarkasse. Und selbst Unästhetisches in etwas Geniessbares zu verwandeln, zum Beispiel in Saucen.

 

Ablaufdatum und Verfall

Die Angabe des Mindesthaltbarkeitsdatums wird von Umweltschützern seit Jahren kritisch gesehen: Allzu oft werden Lebensmittel aufgrund der Angaben auf der Verpackung weggeworfen, obwohl sie eigentlich noch essbar sind. Hier, so der Ruf vieler Umweltschützer, muss die Politik nachsteuern. Mittlerweile gibt es tolle Projekte seitens der Industrie, die mithilfe von digitalen Techniken wie Apps Lebensmittel vor dem Verderben bewahren: «Too Good to Go» wurde in Kopenhagen gegründet und ist mittlerweile auch in der Schweiz verfügbar. Das Konzept: Nicht verkaufte Lebensmittel, die bis kurz vor Ladenschluss noch vorhanden sind, können als Überraschungstüte zu einem reduzierten Preis abgeholt werden. Mitmachen können Bäckereien, Restaurants oder das Lieblingscafé um die Ecke. So tut man nicht nur etwas gegen die Lebensmittelverschwendung, sondern kann auch neue Kunden gewinnen, die sonst vielleicht nicht vorbeigekommen wären, und sie vom eigenen Angebot überzeugen.

Das Restaurant «Hiltl» in Zürich gilt seit 1898 als Vorreiter der vegetarischen Küche. Und auch hier kümmert man sich um das Thema Food Waste: Das Restaurant ist Teil von «Olanga», einem Pionierprojekt, das dank digitaler Technik aussortierte Lebensmittel vom Feld verteilt, die nicht den Industriestandards entsprechen oder aus Überproduktion stammen. Unter dem Begriff ‚Smart Farming‘ werden die Abnehmer online direkt mit den Produzenten verbunden und können sich so abstimmen. Das Catering-Unternehmen «Zum guten Heinrich» rettet ebenfalls Produkte auf dem Weg vom Feld auf den Teller, weil sie zu gross oder zu krumm sind, und kreiert daraus nachhaltige Speisen, die trotz ihrer Andersartigkeit gut schmecken.

Umdenken bei der Portionen- und Tellergrösse

Jahrzehntelang haben sich Verbraucher und Gäste an ein immer breiteres Speiseangebot und grössere Teller gewöhnt, alles muss jederzeit verfügbar sein. Hier haben die Betriebe und Restaurants die Chance, ein Umdenken anzustossen: Durch gute Kommunikation können die Konsument:innen eine gute Entscheidung treffen, ohne auf Genuss verzichten zu müssen. Wollen sie etwa überhaupt Brot dazu? Wie gross ist der Hunger? Reicht vielleicht auch eine kleine Portion?

Diese Reste von den Tellern der Gäste, sogenannter Tellerrücklauf, macht die Hälfte der Lebensmittelabfälle im Gastgewerbe aus. Das summiert sich: Laut Bundesamt für Umwelt (BfU) kostet die Entsorgung dieser eigentlich vermeidbaren Lebensmittelabfälle die Gastronomie 20 Millionen Franken pro Jahr. Im «Hotel Schweizerhof Lenzerheide» werden deshalb etwa die Reste vom Frühstücksbuffet für das Mittagessen der Mitarbeitenden weiterverwendet.

 

Von Resteverwertung und Kreislaufwirtschaft

Wenn trotz aller Massnahmen etwas übrigbleibt: Bei der Resteverwertung sind keine Grenzen gesetzt. Keiner treibt das Konzept so sehr auf die Spitze wie Koch Douglas McMaster im «Silo» in London. Er gilt als Vorreiter der weltweiten Zero Waste-Bewegung. In seinem Restaurant wird nicht nur alles selbst hergestellt – vom Brot bis zur Butter – sondern es werden auch einzigartige Gerichte aus Küchenabfällen kreiert. Sogar die Einrichtung besteht aus Pendelleuchten aus nachwachsenden Mycelium-Pilzen oder Tischen aus recyceltem Plastik – ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft. Auch das Café «Isla» in Berlin wurde für sein Engagement gegen Lebensmittelverschwendung 2018 mit dem Deutschen Gastro-Gründerpreis ausgezeichnet. Selbst wenn bei der Zubereitung von Milchschaum beispielsweise Milch übrigbleibt, schütten sie diese nicht weg. Im Laufe eines Tages sammelt sich so viel an, dass sie daraus Joghurt oder Ricotta herstellen können.

Das Schweizer Start-up aus Weinfelden «Damn Good Food»  verwandelt unverkauftes Brot zu Bier; ein ähnliches Konzept verfolgt die «Janine Boulangerie» in Brüssel, die ihrerseits wiederum auch Brot mit Bierhefe herstellt.

 

Wichtige Anreize von politischer Seite

Frankreich, Italien und seit Kurzem auch Spanien: Alle diese Länder haben Gesetze erlassen und Massnahmen ergriffen, um die Lebensmittelverschwendung grossflächig einzudämmen. So ist es Supermärkten beispielsweise verboten, noch essbare Lebensmittel in den Müll zu werfen. Auch in der Schweiz werden von der Politik Schritte unternommen, um Food Waste zu reduzieren: Bis 2030 soll die Lebensmittelverschwendung im Vergleich zu 2017 halbiert werden. Die schweizweite Initiative «Save Food, Fight Waste» richtet sich dabei explizit an Akteure aus der Gastronomie: Sie unterstützt wichtige Food Saving-Projekte wie der Kanton Basel-Stadt, der die kantonalen Lebensmittelabfälle analysiert, oder die Stadt Zürich, die Betriebe dazu anregt, dass die Gäste ihre Tellerreste mit nach Hause nehmen.

Der verantwortungsvolle Umgang mit wertvollen Ressourcen sollte heutzutage selbstverständlich sein. Im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung kommt es vor allem auf Kreativität und Einfallsreichtum an –und gleichzeitig können die Kosten gesenkt werden. Food Waste ganz zu vermeiden, ist nicht möglich. Aber man sollte es versuchen.

Mehr Trendstorys

Interview mit dem vegetarischen Sternekoch Paul Ivić

«Ich habe ganz legal meine Gäste vergiftet. Und damit mich selbst»

Worauf muss ich achten, wenn ich weniger Fleisch essen will?

«Wichtig ist, dass die Veränderung schrittweise erfolgt»
Ernährungsformen

Die Ernährungstypen im Vergleich

Flexitarisch, vegan – oder doch Low Carb?
Convenience Food

Die Stufen von Convenience-Food

Facts & Figures
Koch in der Küche

Küchenfertig, garfertig, mischfertig: Convenience-Food im Personalrestaurant

Vom Aufbackgipfeli bis zur Kartoffelstockmischung

Der Küchenchef und seine Einflüstererinnen

Feedbackrunde im Generationenhaus

Die Ansprüche steigen, und das ist gut so.

Kochen im Alters- und Pflegeheim
Alle Trends